Pater Franklin Rodriguez – Ein Leben, eine Vision, eine Mission

Es ist der 25. Februar 1940, als in dem Dorf Siketim in Goa ein kleiner Junge das Licht der Welt erblickt: Franklin Rodriguez. Ein Junge wie jeder andere, der mit seinen Freunden und Geschwistern später mit Leidenschaft Fußball spielen wird, auf die höchsten Bäume klettern wird und dem das Leben selbst in größter Gefahr treu zugewandt sein wird. So scheint es. Denn in dieser Nacht ahnt noch niemand, das der Neugeborene später einmal mehr als 10 000 Menschen, darunter vor allem Kinder, retten wird, indem er sie von den Straßen, aus dem Teufelskreis der bitteren Not und Armut bringen wird, ihnen eine Schul- und Ausbildung ermöglicht, um ihnen die Basis für ein eigenständiges, selbstverantwortetes Leben zu geben.

 

Kindheit und Jugend

Franklin wächst zusammen mit seinem Bruder und seinen drei Schwestern bei seiner Mutter und Großmutter in Navelim in Goa auf. Sein Vater arbeitet für die Indian Railway in Bombay. Goa steht zu diesem Zeitpunkt noch unter portugiesischer Herrschaft. Die meisten Menschen gehören der katholischen Konfession an. Franklin wird in fünfter Generation in den Katholizismus geboren. Es ist seine Großmutter, die ihm schon früh sagt: „Du wirst eines Tages Priester werden, mein Junge“. Der kleine Junge ist der zweitgeborene. Er hat einen älteren Bruder, der nach dem Gesetz der Tradition schließlich das Haus übernehmen soll. Der unbeschwerte Junge verinnerlicht die Aussage seiner Oma früh. Es sind ihm Ehre und Genuss zugleich, wenn seine Geschwister ihn als Kleinkind als Priester verkleiden und die Messen nachspielen. Franklin, in ein weißes Tuch gehüllt, verteilt eifrig die Oblaten, die sie zuvor aus Bananenblättern zusammengeschnitten haben. Vor und nach dem Fußballspielen. Das Zusammensein, Teilen und Zeremonieren auf der Straße und im Haus wird Teil der frühen Kindheit – genauso wie der nahegelegene Rasen, den sie mit Freunden als Fußballfeld markieren. Ein Fußball-Kompagnon erzählt ihm schließlich von den Pilar Patres. Zu diesem Zeitpunkt ist Franklin bereits 13 Jahre alt und fest entschlossen, Missionar zu werden. Er träumt davon, die Welt ein bisschen besser und gerechter mitgestalten zu können. Mit 16 Jahren besucht er das Lyzeum, um sich auf das Priesterseminar der Pilar-Brüder vorzubereiten. Der Orden der Missionare St. Francis Xavier entstand 1887 in Goa. Ziel des einheimischen Ordens war und ist es, Jesus Christus unter die „Unwissenden“ zu bringen. Dies wollten sie durch Hilfeleistungen für die Ärmsten und Unberührbaren erreichen. Genau diese Aspekte sind es, die Franklin umtreiben. Heute sind es insgesamt 450 Missionare. Die Pilar Patres sind in vier verschiedenen Provinzen Indiens verteilt; Delhi im Norden, Goa im Süden, Kolkata im Osten und Mumbai im Westen. Im Jahre 1986 kamen die Pilar Brüder nach Bhopal und fingen mit der Pionierarbeit bei den Leprakranken an. Außerdem verbanden sie sich mit den Arbeitern, indem sie den Ärmsten der Armen und den unberührbaren Kindern Bildung durch den Bau von Schulen, Jugendherbergen, Dispensatorien und Rehabilitationszentren gaben.

Missionarischer Anfang in Nagra Haveli

Etwa 130 Kilometer nördlich von Mumbai, in Nagra Haveli, im Hinterland der Küste des Arabischen Meeres nimmt Pater Franklin seine erste Mission auf. Als er den Ort erreicht, begegnen ihm nichts anderes als Armut, Hunger und Not. Bildung ist Mangelware und schon gar nicht für die Kinder der Ärmsten der Armen vorgesehen. Franklin sieht dringenden Handlungsbedarf. Die Gelder des Ordens reichen für ein Heim und eine Schule nicht aus. Staatliche Unterstützung gibt es nicht. Der junge Priester beginnt, Kontakte nach außen zu knüpfen. Es sind vor allem Menschen und Begegnungen mit Fremden, zunächst mit Amerikanern, später mit Deutschen, die ihn bei seinem Vorhaben unterstützen, Kindern durch Erziehung und Bildung die Basis für ein selbstverantwortetes Leben zu schaffen. Durch seine umtriebigen Bemühungen, Spendengelder zu erwirken, trifft er zu Beginn seiner Tätigkeit auf die Catholic Relief Services of America, eine internationale Hilfsorganisation der US-Bischofskonferenz. Sie schickt Zucker, Mehl, Öl und Butter in die Missionsstation. Durch den befreundeten Pater Ubaldo, mit dem er Seite an Seite arbeitet, erhält er 1974 Kontakt nach Deutschland. 1975 fliegt er das erste Mal nach Deutschland, nach Bad Bergzabern. Es entsteht eine tiefe, bis heute anhaltende Freundschaft und die finanziellen Zuwendungen – insbesondere durch private Spenden – aus Deutschland vermehren sich, so dass schließlich eine Schule und ein Hostel für die Kinder gebaut werden und Arme und Kranke so weit wie möglich versorgt werden können. Waren es Mitte der 60er Jahre noch 60 Jungen und 12 Mädchen, die zunächst in einer kleinen Kapelle durch Franklin Schutz gefunden haben, so leben am Ende, das heißt 19 Jahre später, kurz bevor der Pater in eine neue Mission geschickt wird, um soziale Missstände zu mildern und eine neue Missionsstation aufzubauen, 200 Jungen und 300 Mädchen in dem Waisenhaus und besuchen die Schule.

Bhopal

1986 entsendet der Orden Pater Franklin nach Bhopal, um bei der Hilfsarbeit der Erzdiözese für die Opfer der weltweit größten Chemiekatastrophe von 1984 mitzuhelfen. Seitdem sind 32 Jahre vergangen. Opfer und deren Angehörige warten immer noch vergeblich auf Gerechtigkeit und Entschädigung. Und dennoch sind seine ersten Eindrücke lebendig wie am ersten Tag. Armut, Krankheit und Not wie in Nagra Haveli begegnen ihm auch hier. Hinzu kommt die Leibeigenschaft, die erst 1996 - zumindest - offiziell abgeschafft wird. Der Pater versucht auch hier, sein Modell aus dem Westen zu übertragen, in Schulen und Waisenhäuser zu investieren, den Menschen eine Zukunft zu geben. Unermüdlich bemüht er sich um Gelder. Viel Unterstützung erfährt er erneut aus Deutschland. Er kümmert sich um die Kranken, setzt sich für den Bau eines Krankenhauses in der Region ein und gründet darüber hinaus eine Leprakolonie. Es wird die größte im Bundesstaat Madhya Pradesh werden, in der heute 90 Menschen mit ihren Familien leben. Franklin lebt und wirkt inzwischen seit 30 Jahren hier, wenn auch nicht alleine und nicht mehr mit der gleichen kleinen Struktur der Hilfsarbeit. Eine Gemeinschaft von Pilar Brüdern lebt hier in verschiedenen Gemeinschaften. Shantinagar ist der Hauptsitz. Pater Franklin hätte nicht erwartet, dass er so lange hier bleibt, geschweige denn, so vielen jungen Menschen eine Zukunft geben zu können oder zumindest ein würdevolleres Leben ermöglichen zu können.


Jahre in Kolkata

Im Jahr 2003 wird Pater Franklin von Bhopal nach Kolkata berufen. Es herrschen auf den Straßen Kolkatas Elendszustände. 2004 entscheidet die Ordensgemeinschaft, ihre Tätigkeiten in Indien in vier Provinzen einzuteilen: in Mumbai, Delhi, Goa und Kolkata. Pater Franklin obliegt der gesamte Bereich über die Provinz. Angesichts der Menschen, die zwischen Abfällen und schmutzigem Wasser, um die reine Nahrungsmittelsuche und -aufnahme kämpfen und auf der Straße an Krankheit und Hunger versterben, ruft er 2006 das Projekt „One meal a day“ ins Leben. Seitdem fährt er – und später seine Nachfolger – jeden Morgen in der Früh durch die Straßen Kolkatas, um den Ärmsten der Armen einmal am Tag ein warmes Mahl und sauberes Trinkwasser zu reichen. Auch richtet er eine medizinische Versorgungsstation auf dem Gelände des Ordens ein.

Zurück in Bhopal

Franklins Saatgut in Bhopal trägt Früchte, wächst und gedeiht, so dass der Orden ihn 2008 wieder zurück beruft. Dank seiner Vision sehen Bhopal und die Region heute schon anders aus, als bei seiner ersten Ankunft. Es ist ein Komplex mit verschiedenen Apostolaten, die meisten davon fokussiert auf Bildung der Unterprivilegierten. Es gibt drei verschiedene Hauptvereinigungen: Berasia, Bal Bhawan und Scholasticate. Das Apostolat der Pilar Patres Bhopal besteht aus Kindergärten, Hindi- und Englischschulen für Kinder und Jugendliche und Sozialarbeit für Nomaden, Leprakranke und einem Dispensatorium. 2016 sind es 1055 Mädchen und Jungen, die in den Hostels leben und eine Schulbildung bekommen. Seine Kontakte nach Deutschland unterstützen ihn fortwährend und erweitern sich. „Ohne die Hilfe aus Deutschland wäre das alles nicht möglich gewesen“, betont er. Und auch die Kinder und Jugendlichen wissen, dass sie in Deutschland Freunde haben. So zeichnen sie Bilder und senden, soweit es ihnen möglich ist, Grüße und Gedanken an ihre deutschen Freunde. Auch das Thema Ausbildung rückt zunehmend in den Fokus. Durch die Indienhilfe Deutschland konnte 2013 in Bhopal zum Beispiel eine Nähschule eröffnet werden, in der verheiratete Frauen oder junge Mädchen nach der Schule eine Ausbildung machen können. Auch werden Krankenschwestern ausgebildet und Lehrlinge im Bereich Maschinenbau und Elektrotechnik. Darüber hinaus studieren einige nach Abschluss der Schule, werden Ärzte oder Ingenieure oder kehren als Lehrer an ihre frühe Schule oder eine andere im Wirkungskreis von Pater Franklin zurück. Wer das Glück hatte, durch Franklin und die Pilar Patres eine Schul- und Ausbildung zu bekommen, um selbstständig seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, gibt zurück. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die einstigen Schüler in Bhopal vor wenigen Jahren bereits einen Fonds gegründet haben, indem jeder zehn Prozent seines Gehaltes einzahlt, das der jeweiligen Missionsstation zu Gute kommt. Fragt man Pater Franklin, nachdem er Tausenden Menschen eine Brücke vom Überleben zum Leben gebaut hat und weitere mehrere TausendePilar-Brüder (Sozial)Waisenkindern durch eine Schul- und Ausbildung in ein selbstbestimmtes Leben geführt hat, ob er noch Träume hat, so erntet man ein Strahlen in den Augen des 76-Jährigen und erfährt mit fester Stimme: „Oh, ja, ich möchte noch vielen, vielen Kindern ein Zuhause und eine Zukunft geben können. Zusammen mit unseren deutschen Freunden.“ „Und“, fügt er an: „Ich möchte hier in Bhopal bei meinen Kindern alt werden“.

Text: Simone Fischer


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Nur 5,- € kostet die Menge Reis, die nötig ist, um ein Kind in Indien einen Monat lang zu Ernähren.